Das Wasser von Fukushima: Eine komplexe Frage der Dekontamination, Sicherheit und globalen Verantwortung

by 17. Mai 2025

Die Nuklearkatastrophe von Fukushima Daiichi im März 2011 hat nicht nur das Leben in der Präfektur Fukushima und weit darüber hinaus grundlegend verändert, sondern auch eine anhaltende Herausforderung hinterlassen: die enorme Menge an kontaminiertem Wasser, das sich auf dem Gelände des zerstörten Kernkraftwerks angesammelt hat. Über ein Jahrzehnt nach dem Unglück steht Japan vor der Aufgabe, dieses Wasser sicher und verantwortungsvoll zu entsorgen – eine Entscheidung, die international aufmerksam verfolgt und kontrovers diskutiert wird. Die geplante und mittlerweile begonnene Freisetzung des aufbereiteten Wassers in den Pazifischen Ozean ist ein Schritt von globaler Relevanz, der wissenschaftliche Bewertungen, strenge Überwachung und transparente Kommunikation erfordert.

Die Last des Wassers: Eine Folge des Unglücks

Nach dem verheerenden Erdbeben und Tsunami im Jahr 2011 erlitten drei der Reaktorblöcke in Fukushima Daiichi Kernschmelzen. Zur Kühlung der geschmolzenen Brennstäbe wurde und wird weiterhin Wasser benötigt. Dieses Kühlwasser vermischt sich mit eindringendem Grundwasser und Regenwasser, wodurch sich kontinuierlich große Mengen an radioaktiv kontaminiertem Wasser auf dem Kraftwerksgelände ansammeln. Um das Wasser zu lagern, wurden auf dem Gelände zahlreiche Tanks errichtet. Im Laufe der Jahre sind über tausend Tanks entstanden, die mehr als 1,3 Millionen Kubikmeter Wasser fassen – eine Menge, die täglich weiter wächst und die Lagerkapazitäten auf dem begrenzten Gelände des Kraftwerks an ihre Grenzen bringt.

Die Lagerung in Tanks war von Anfang an als Übergangslösung gedacht. Langfristig birgt sie Risiken, wie z.B. Lecks durch Korrosion oder Beschädigungen bei Naturkatastrophen wie Erdbeben oder Tsunamis. Zudem nimmt die ständig wachsende Zahl der Tanks wertvollen Platz auf dem Gelände ein, der für die laufenden Stilllegungsarbeiten an den Reaktorruinen benötigt wird.

Das ALPS-Verfahren: Reinigung mit einer Einschränkung

Bevor das kontaminierte Wasser entsorgt werden kann, durchläuft es ein komplexes Reinigungssystem namens ALPS (Advanced Liquid Processing System). Dieses System ist darauf ausgelegt, die meisten Radionuklide, die bei der Kernschmelze freigesetzt wurden, effektiv zu entfernen. Dazu gehören gefährliche Isotope wie Cäsium-137, Strontium-90, Iod-131 und Kobalt-60. Laut dem Betreiber TEPCO (Tokyo Electric Power Company) und der japanischen Regierung wird das Wasser so gereinigt, dass die Konzentrationen dieser Radionuklide deutlich unter den nationalen und internationalen Grenzwerten liegen.

Eine Ausnahme bildet Tritium. Tritium ist ein radioaktives Isotop des Wasserstoffs, das natürlich vorkommt, aber auch in Kernreaktoren in größeren Mengen entsteht. Das ALPS-System kann Tritium nicht effektiv aus dem Wasser entfernen, da es chemisch sehr ähnlich wie normaler Wasserstoff ist und in Wasser als Teil des Wassermoleküls vorliegt. Tritium emittiert schwache Betastrahlung, die von der Haut abgeschirmt werden kann und nur bei Aufnahme in den Körper eine Gefahr darstellt. Die biologische Halbwertszeit von Tritium im menschlichen Körper ist relativ kurz (etwa 10 Tage), was bedeutet, dass es schnell wieder ausgeschieden wird und sich nicht in Organen anreichert wie beispielsweise Strontium-90 in Knochen.

Die Tatsache, dass das gereinigte Wasser immer noch Tritium enthält, ist ein zentraler Punkt der Debatte und der Besorgnis. Japan betont jedoch, dass die Tritiumkonzentration im zu entsorgenden Wasser stark verdünnt wird, um sicherzustellen, dass sie weit unter den international empfohlenen Grenzwerten liegt.

Die Entscheidung zur Freisetzung und die Rolle der IAEA

Nach jahrelanger Debatte und Prüfung verschiedener Optionen entschied sich die japanische Regierung im Jahr 2021 für die kontrollierte Freisetzung des behandelten Wassers in den Pazifischen Ozean. Als Begründung wurde angeführt, dass dies die praktikabelste und sicherste Methode sei, um die wachsenden Mengen an Wasser zu bewältigen und den Fortschritt bei den Stilllegungsarbeiten zu ermöglichen.

Japan ersuchte die Internationale Atomenergiebehörde (IAEA) um Unterstützung bei der Überprüfung der Sicherheitsaspekte des Plans. Die IAEA, die UN-Organisation für die friedliche Nutzung der Kernenergie, führte eine umfassende Prüfung durch, an der internationale Experten beteiligt waren. Im Juli 2023 veröffentlichte die IAEA ihren Abschlussbericht, in dem sie zu dem Schluss kam, dass Japans Plan zur Einleitung des behandelten Wassers mit Tritium in den Pazifik im Einklang mit den internationalen Sicherheitsstandards steht und die Auswirkungen auf Mensch und Umwelt „vernachlässigbar“ sein würden. Die IAEA betonte, dass die Tritiumkonzentration im Wasser vor der Freisetzung stark verdünnt wird und die jährliche Gesamtmenge des freigesetzten Tritiums begrenzt ist.

Die Zustimmung der IAEA war für Japan ein entscheidender Schritt und wurde als wichtige Bestätigung der Sicherheit des Vorhabens gewertet. Die IAEA hat zugesagt, während des gesamten Prozesses der Wasserfreisetzung, der voraussichtlich mehrere Jahrzehnte dauern wird, eine kontinuierliche Präsenz vor Ort zu unterhalten und unabhängige Überwachungsdaten zu veröffentlichen.

Der Freisetzungsprozess und die Überwachung

Die Freisetzung des behandelten Wassers erfolgt nicht auf einmal, sondern schrittweise über einen langen Zeitraum. Das Wasser wird in Chargen freigesetzt, wobei jede Charge vor der Einleitung mit Meerwasser stark verdünnt wird, um die Tritiumkonzentration auf ein Niveau zu senken, das deutlich unter den nationalen Sicherheitsgrenzwerten liegt. Das verdünnte Wasser wird dann über einen Unterwassertunnel etwa einen Kilometer vor der Küste in den Pazifik geleitet.

Begleitend zur Freisetzung wird ein umfassendes Überwachungsprogramm durchgeführt. TEPCO überwacht kontinuierlich die Radioaktivität im freigesetzten Wasser sowie in der Umgebung des Kraftwerks, einschließlich des Meerwassers, der Sedimente und der Meereslebewesen. Auch die japanische Regierung und unabhängige Stellen führen eigene Überwachungsprogramme durch. Die IAEA ist ebenfalls vor Ort präsent, nimmt eigene Proben und überprüft die Daten von TEPCO. Die Überwachungsdaten werden transparent veröffentlicht, unter anderem auf der Website der IAEA.

Das Ziel der Überwachung ist es, sicherzustellen, dass die tatsächliche Strahlenbelastung für Mensch und Umwelt innerhalb der vorhergesagten, sehr geringen Grenzen bleibt und gegebenenfalls schnell auf Abweichungen reagieren zu können. Die Probenentnahme umfasst Meerwasser an verschiedenen Punkten und in verschiedenen Tiefen sowie Fische und andere Meeresorganismen, die in der Nähe der Einleitungsstelle und in weiter entfernten Gebieten gefangen werden.

Internationale Reaktionen und Bedenken

Trotz der positiven Bewertung durch die IAEA stieß und stößt die Freisetzung des behandelten Wassers auf international unterschiedliche Reaktionen und erhebliche Bedenken. Insbesondere Nachbarländer Japans, wie China und Südkorea, haben starke Kritik geäußert und ihre Besorgnis über mögliche Auswirkungen auf die Meeresumwelt, die Fischereiindustrie und die öffentliche Gesundheit zum Ausdruck gebracht.

China hat als Reaktion auf die begonnene Wasserfreisetzung ein umfassendes Importverbot für japanische Meeresfrüchte verhängt. Südkorea hat zwar kein vollständiges Importverbot verhängt, aber seine Besorgnis deutlich gemacht und eine strenge Überwachung importierter japanischer Meeresprodukte angekündigt. Einige pazifische Inselstaaten haben ebenfalls Bedenken geäußert, basierend auf der Geschichte nuklearer Tests in der Region und der Bedeutung des Ozeans für ihren Lebensunterhalt und ihre Kultur.

Die Hauptkritikpunkte und Bedenken konzentrieren sich oft auf folgende Aspekte:

  • Vertrauen und Transparenz: Kritiker zweifeln an der vollständigen Transparenz und Zuverlässigkeit der von TEPCO und der japanischen Regierung vorgelegten Daten, insbesondere angesichts früherer Probleme mit der Datenintegrität.
  • Langzeitfolgen: Obwohl die kurzfristigen Auswirkungen als gering eingeschätzt werden, gibt es Bedenken hinsichtlich der langfristigen Anreicherung von Tritium oder anderen schwerer zu messenden Radionukliden in der Nahrungskette oder in bestimmten Meeresorganismen über die Jahrzehnte der Freisetzung.
  • Alternativen: Kritiker argumentieren, dass Japan alternative Optionen zur Entsorgung des Wassers nicht ausreichend geprüft oder verworfen hat, wie z. B. die langfristige Speicherung in stabileren Behältern an Land, die Verfestigung des Tritiums in Beton oder Mörtel oder die Nutzung für industrielle Zwecke.
  • Kommunikation und Konsultation: Einige Länder und Interessengruppen fühlen sich nicht ausreichend konsultiert oder informiert.

Japan hat sich bemüht, auf diese Bedenken einzugehen, indem es Informationen bereitstellt, internationale Experten zu Besichtigungen einlädt und die Zusammenarbeit mit der IAEA betont. Die wissenschaftlichen Bewertungen der IAEA werden von vielen Ländern und wissenschaftlichen Organisationen unterstützt, die die Sicherheit des Plans bei Einhaltung der Vorschriften bestätigen.

Die wissenschaftliche Perspektive und die Herausforderung der Wahrnehmung

Aus wissenschaftlicher Sicht wird die Hauptgefahr des behandelten Wassers oft als gering eingeschätzt, solange die Verdünnung und die Begrenzung der freigesetzten Mengen eingehalten werden. Wissenschaftler betonen, dass Tritium in geringen Konzentrationen vorkommt und eine geringe radiologische Wirkung hat. Sie verweisen auch darauf, dass Kernkraftwerke weltweit routinemäßig geringe Mengen an Tritium und anderen Radionukliden in Gewässer einleiten.

Die Herausforderung liegt jedoch nicht nur in der wissenschaftlichen Bewertung der Risiken, sondern auch in der öffentlichen Wahrnehmung und dem Vertrauen. Die Erinnerung an die nukleare Katastrophe von 2011 und die mangelnde Transparenz in der Anfangsphase haben das Vertrauen in die Behörden und TEPCO beeinträchtigt. Emotionen und Ängste spielen eine wichtige Rolle in der Debatte, insbesondere in Bezug auf die Sicherheit von Lebensmitteln aus der Region und die Auswirkungen auf die Fischereiindustrie, die bereits unter den Folgen des Unglücks leidet. Reputationsschäden sind eine reale Sorge für die Fischer und Landwirte in Fukushima.

Aktueller Stand und Ausblick

Die Freisetzung des behandelten Wassers aus Fukushima Daiichi hat im August 2023 begonnen und wird voraussichtlich mehrere Jahrzehnte dauern. Die Freisetzung erfolgt in mehreren Phasen, wobei jede Phase überwacht und bewertet wird, bevor die nächste beginnt.

Die Überwachungsdaten, die bisher veröffentlicht wurden, zeigen, dass die Tritiumkonzentrationen im Meerwasser in der Nähe der Einleitungsstelle und in den gefangenen Fischen innerhalb der erwarteten niedrigen Werte liegen und deutlich unter den nationalen und internationalen Grenzwerten bleiben. Die IAEA ist weiterhin vor Ort präsent und veröffentlicht ihre unabhängigen Überwachungsdaten.

Die internationalen Reaktionen bleiben gemischt. Während einige Länder die wissenschaftlichen Bewertungen akzeptieren und die Transparenz des Prozesses loben, halten andere, insbesondere China, an ihren Bedenken und Beschränkungen fest. Die diplomatischen Bemühungen Japans, das Vertrauen wiederherzustellen und die Akzeptanz zu fördern, dauern an.

Die Bewältigung der Fukushima-Folgen ist eine langfristige Aufgabe, und die Entsorgung des behandelten Wassers ist nur ein Teil davon. Die vollständige Stilllegung des Kraftwerks wird noch viele Jahre, wenn nicht Jahrzehnte in Anspruch nehmen und erfordert weiterhin internationale Zusammenarbeit und wissenschaftliche Fortschritte.

Die Situation in Fukushima wirft grundlegende Fragen auf, wie die internationale Gemeinschaft mit den Folgen von Nuklearunfällen umgeht, wie wissenschaftliche Bewertungen kommuniziert und Vertrauen in der Öffentlichkeit aufgebaut werden können und wie die Last vergangener Entscheidungen die Zukunft beeinflusst. Die kontrollierte Freisetzung des behandelten Wassers mag aus wissenschaftlicher Sicht innerhalb akzeptabler Grenzen liegen, aber die sozialen, wirtschaftlichen und politischen Auswirkungen sind real und müssen weiterhin sorgfältig gemanagt werden. Die Welt schaut auf Fukushima, um zu sehen, wie Japan diese beispiellose Herausforderung meistert und welche Lehren daraus für zukünftige Generationen und den Umgang mit radioaktiven Abfällen weltweit gezogen werden können.

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