Die globale Schifffahrt ist das Rückgrat des Welthandels. Über 80 Prozent aller Waren werden per Schiff transportiert, eine Zahl, die in den kommenden Jahren voraussichtlich weiter steigen wird. Doch diese essenzielle Rolle hat ihren Preis für die Umwelt. Der Seeverkehr ist derzeit für rund 2,6 Prozent der weltweiten CO₂-Emissionen verantwortlich – ein Anteil, der ohne entschlossene Maßnahmen zur Emissionsreduktion erheblich wachsen würde und die globalen Klimaziele gefährden könnte. Die Dekarbonisierung der Schifffahrt ist daher keine Option mehr, sondern eine dringende Notwendigkeit, um die Erderwärmung auf deutlich unter 2 Grad Celsius, idealerweise auf 1,5 Grad Celsius, zu begrenzen, wie es das Pariser Klimaabkommen vorsieht.
Das Bewusstsein für diese Herausforderung ist in den letzten Jahren stark gestiegen, sowohl bei Regulierungsbehörden als auch innerhalb der maritimen Industrie selbst. Die Internationale Seeschifffahrts-Organisation (IMO), die UN-Sonderorganisation für die Sicherheit und den Schutz der Umwelt im internationalen Schiffsverkehr, spielt eine zentrale Rolle bei der Festlegung globaler Standards und Ziele. Im Jahr 2023 hat die IMO ihre Klimaschutzstrategie überarbeitet und deutlich ambitioniertere Ziele verabschiedet: Die internationale Schifffahrt soll bis etwa 2050 Netto-Null-Emissionen erreichen. Dieses Fernziel wird von ehrgeizigen Zwischenzielen begleitet: Eine Reduktion der jährlichen Treibhausgasemissionen um mindestens 20 Prozent (angestrebt: 30 Prozent) bis 2030 und um mindestens 70 Prozent (angestrebt: 80 Prozent) bis 2040, jeweils im Vergleich zu 2008.
Diese Ziele sind ein klares Signal an die Branche und erfordern einen fundamentalen Wandel. Der bisherige Betrieb, der weitgehend auf Schweröl basiert, ist nicht mehr zukunftsfähig. Die Dekarbonisierung der Schifffahrt ist ein komplexes Unterfangen, das Investitionen in neue Technologien, Infrastrukturen und vor allem in alternative Kraftstoffe erfordert.
Alternative Kraftstoffe: Die Suche nach der grünen Energiequelle der Zukunft
Die Wahl des richtigen alternativen Kraftstoffs ist eine der größten Herausforderungen. Es gibt nicht die eine Patentlösung, und verschiedene Kraftstoffe haben je nach Schiffstyp, Fahrtgebiet und Verfügbarkeit unterschiedliche Vor- und Nachteile.
- Flüssigerdgas (LNG): LNG wird oft als Übergangskraftstoff betrachtet. Es emittiert im Vergleich zu Schweröl deutlich weniger Schwefeloxide, Stickoxide und Feinstaub. Allerdings besteht bei der Nutzung von LNG das Problem des „Methanschlupfs“, bei dem unverbranntes Methan in die Atmosphäre gelangt. Methan ist ein starkes Treibhausgas, das kurzfristig deutlich klimaschädlicher ist als CO₂. Obwohl die Technologie zur Minimierung des Methanschlupfs Fortschritte macht, ist LNG allein keine langfristige Lösung für die vollständige Dekarbonisierung, kann aber in der Übergangsphase helfen, Emissionen zu reduzieren, insbesondere wenn es mit Biomethan oder synthetischem Methan (E-Methan) gemischt wird.
- Grünes Methanol: Methanol, das aus erneuerbaren Quellen hergestellt wird (z. B. aus Biomasse oder durch die Kombination von grünem Wasserstoff und abgeschiedenem CO₂), gilt als vielversprechender alternativer Kraftstoff. Es ist flüssig und kann relativ einfach gehandhabt und gelagert werden, was die Anpassung bestehender Schiffe und Infrastrukturen erleichtert. Große Reedereien haben bereits begonnen, Methanol-fähige Schiffe zu bestellen. Die Herausforderung liegt hier in der Skalierung der Produktion von grünem Methanol, um die erwartete Nachfrage der Schifffahrt decken zu können, sowie in den Kosten.
- Ammoniak: Grünes Ammoniak, das aus grünem Wasserstoff und Stickstoff hergestellt wird, ist eine weitere Option, die zunehmend Beachtung findet. Es verbrennt ohne direkte CO₂-Emissionen und hat eine höhere Energiedichte als Wasserstoff. Allerdings gibt es bei der Nutzung von Ammoniak Herausforderungen hinsichtlich der Sicherheit (es ist giftig) und des Potenzials für Lachgasemissionen (ein weiteres starkes Treibhausgas) bei der Verbrennung. Die Entwicklung von geeigneten Motoren und Sicherheitsstandards ist im Gange.
- Wasserstoff: Grüner Wasserstoff, der durch Elektrolyse mit erneuerbarem Strom erzeugt wird, ist ein idealer Kraftstoff, da er bei der Verbrennung nur Wasser emittiert. Allerdings hat Wasserstoff eine sehr geringe volumetrische Energiedichte, was große und schwere Tanks erfordert. Dies macht ihn vor allem für kürzere Strecken oder als Teil eines Hybridantriebs interessant. Die Infrastruktur für die Produktion, Lagerung und Betankung von Wasserstoff ist ebenfalls noch im Aufbau.
- Biokraftstoffe: Nachhaltig produzierte Biokraftstoffe, wie Biodiesel oder Biomethan aus Abfallstoffen, können ebenfalls zur Dekarbonisierung beitragen, insbesondere als Beimischung zu konventionellen Kraftstoffen oder in reiner Form. Die begrenzte Verfügbarkeit von nachhaltiger Biomasse und die Konkurrenz mit anderen Sektoren (z. B. Landwirtschaft) stellen jedoch limitierende Faktoren dar.
- Elektrifizierung und Batterien: Für kurze Seeverbindungen, wie Fähren oder Hafenschlepper, ist die direkte Elektrifizierung mit Batterien eine praktikable und bereits umgesetzte Lösung. Die Batterietechnologie entwickelt sich rasant weiter, aber für lange Strecken und große Schiffe ist die benötigte Batteriekapazität derzeit noch zu groß und zu schwer.
- Feststoffbrennstoffe: Auch die Nutzung von Feststoffbrennstoffen wie grünem Methanol oder Ammoniak in Festoxid-Brennstoffzellen wird als vielversprechende Technologie für zukünftige Schiffe erforscht.
Neben der Wahl des Kraftstoffs sind auch technologische Fortschritte bei der Energieeffizienz von entscheidender Bedeutung. Dazu gehören verbesserte Schiffsdesigns, optimierte Routenplanung, langsameres Fahren (Slow Steaming), die Nutzung von Windkraft (z. B. Rotorsegel) und Abwärmerückgewinnungssysteme. Die Landstromversorgung in Häfen ermöglicht es Schiffen, ihre Hilfsmotoren im Hafen abzuschalten und Emissionen in Hafennähe zu vermeiden.
Regulatorische Rahmenbedingungen und marktwirtschaftliche Instrumente
Um den Übergang zu emissionsfreien Kraftstoffen und Technologien zu beschleunigen, sind klare und verlässliche regulatorische Rahmenbedingungen sowie wirtschaftliche Anreize unerlässlich. Die IMO arbeitet an der Einführung marktwirtschaftlicher Maßnahmen, wie z. B. einer globalen CO₂-Bepreisung für die Schifffahrt. Eine solche Maßnahme würde fossile Kraftstoffe verteuern und alternative Kraftstoffe wettbewerbsfähiger machen. Die Verhandlungen hierzu sind komplex, da die Interessen der Mitgliedstaaten, insbesondere der Entwicklungs- und Schwellenländer, berücksichtigt werden müssen. Eine Einigung auf globaler Ebene ist jedoch entscheidend, um Wettbewerbsverzerrungen zu vermeiden und einen echten globalen Übergang zu ermöglichen.
Parallel dazu hat die Europäische Union eigene Maßnahmen ergriffen, um die Emissionen des Seeverkehrs in ihren Gewässern zu reduzieren. Die Einbeziehung der Schifffahrt in das EU-Emissionshandelssystem (EU ETS) verpflichtet Reedereien, Zertifikate für ihre CO₂-Emissionen zu erwerben. Dies schafft einen direkten finanziellen Anreiz zur Reduzierung der Emissionen. Darüber hinaus legt die FuelEU Maritime Verordnung Grenzwerte für die Treibhausgasintensität der in der EU genutzten Schiffskraftstoffe fest und schreibt ab 2025 eine schrittweise Reduzierung vor. Diese europäischen Maßnahmen sollen als Vorreiterrolle dienen und den globalen Prozess beschleunigen.
Herausforderungen auf dem Weg zur Dekarbonisierung
Der Weg zur klimaneutralen Schifffahrt ist mit erheblichen Herausforderungen verbunden:
- Kosten: Alternative Kraftstoffe sind derzeit in der Regel teurer als herkömmliches Schweröl. Die Umrüstung von Schiffen auf neue Kraftstoffe oder Antriebe erfordert ebenfalls erhebliche Investitionen. Die Frage der Finanzierung dieser Transformation ist zentral.
- Infrastruktur: Der Aufbau einer globalen Infrastruktur für die Produktion, Lagerung und Betankung von alternativen Kraftstoffen wie grünem Methanol, Ammoniak oder Wasserstoff ist eineMammutaufgabe, die eine koordinierte Anstrengung von Regierungen, Industrie und Häfen weltweit erfordert.
- Verfügbarkeit und Skalierbarkeit: Die Produktion nachhaltiger alternativer Kraftstoffe ist derzeit noch begrenzt. Die benötigten Mengen für die globale Schifffahrt sind enorm, und der Hochlauf der Produktionskapazitäten wird Zeit und massive Investitionen erfordern.
- Sicherheit: Die Handhabung und Lagerung einiger alternativer Kraftstoffe, wie z. B. Ammoniak oder Wasserstoff, birgt neue Sicherheitsrisiken, die sorgfältig bewertet und durch strenge Vorschriften und Schulungen adressiert werden müssen.
- Technologische Entwicklung: Obwohl vielversprechende Technologien existieren, müssen einige von ihnen noch im großen Maßstab erprobt und optimiert werden, um die Zuverlässigkeit und Effizienz für den Einsatz in der globalen Schifffahrt zu gewährleisten.
- Globale Kooperation: Die Schifffahrt ist eine globale Industrie. Eine effektive Dekarbonisierung erfordert die Zusammenarbeit aller Länder unter dem Dach der IMO, um fragmentierte Regelwerke und Wettbewerbsverzerrungen zu vermeiden.
Ausblick
Trotz der enormen Herausforderungen sind die Fortschritte auf dem Weg zur Dekarbonisierung der Schifffahrt unübersehbar. Die IMO hat klare Ziele gesetzt, die EU hat ambitionierte Maßnahmen ergriffen, und die Industrie investiert zunehmend in grüne Technologien und alternative Kraftstoffe. Die Zahl der Schiffe, die mit LNG, Methanol oder anderen alternativen Kraftstoffen betrieben werden können, wächst stetig. Pilotprojekte mit Ammoniak und Wasserstoff zeigen das Potenzial dieser Technologien.
Die Dekarbonisierung der Schifffahrt ist ein langfristiger Prozess, der Jahrzehnte dauern wird. Er erfordert kontinuierliche Forschung und Entwicklung, massive Investitionen, eine enge Zusammenarbeit zwischen allen Akteuren der Wertschöpfungskette und eine konsequente politische Flankierung. Die Bedeutung dieses Wandels für den globalen Klimaschutz kann nicht hoch genug eingeschätzt werden. Eine erfolgreiche Dekarbonisierung der Schifffahrt wird einen wichtigen Beitrag zur Erreichung der globalen Klimaziele leisten und den Seeverkehr fit für eine nachhaltige Zukunft machen. Der „Kurs auf Grün“ ist eingeschlagen, und auch wenn der Weg noch weit ist, sind die Weichen für eine klimafreundlichere Schifffahrt gestellt.